Der Pastor und der Imam – eine Art Wunder!

Zwei Erzfeinde finden zusammen, versöhnen sich und arbeiten seitdem erfolgreich für Frieden zwischen Christen und Muslimen. In Nigeria, einem Land, dem die Spaltung droht.

Erschienen in chrismon 10/2012

Die Ruinenstadt wäre ein guter Ort, um alte Wunden wieder aufzureißen. James und Ashafa dringen immer tiefer in die Gassen ein. Vorbei an kohlschwarzen Hausskeletten und verwaisten Brunnen. Rotbraun die Trümmer von Lehmziegelmauern, die Wind und Regen in den vergangenen Wochen umgeworfen haben. Einziger Farbtupfer ist ein bunter Vorhang, der im Wind flattert. Er ersetzt die Tür in einem Haus, das dem Mob und den Flammen standhielt. „Das war ein quicklebendiger Ort,“ flüstert James. „Hier hat kein einziger Muslim überlebt“, fügt Ashafa leise hinzu. Wer nicht fliehen konnte, wurde massakriert.

James, ein Kopf kleiner als Ashafa, ist mit seiner Schiebermütze aus Leder sofort als Christ erkennbar, Ashafa in seinem wallenden arabischen Gewand und mit zauseligem Kinnbart weithin als Muslim auszumachen. James´ Blicke tasten nervös die Umgebung ab. Immer wieder dreht er sich um. Eine Gruppe junger Männer folgt ihnen auf dem Fuß. Sie tuscheln mit düsteren Mienen, kommen immer näher.

James fasst mit der Linken nach Ashafas Hand. Wo einmal seine Rechte war, sitzt heute eine Prothese. Ein muslimischer Milizionär hat ihm die Hand abgehackt, vermutlich einer von Ashafas Männern. Vor 18 Jahren, im Kampf, mit einer Machete.

Die beiden beschleunigen ihre Schritte, bis sie einen kleinen Armeeposten erreichen. Die Männer, die ihnen gefolgt sind, bleiben zurück. Gemeinsam bitten James und Ashafa um Geleitschutz. Ein junger Corporal willigt ein. Drei Soldaten marschieren vorweg, die Kalaschnikows lässig umgehängt, drei sichern nach hinten. „Wir müssen das Frühwarnsystem verbessern, damit das hier nicht noch einmal passiert“, sagt Ashafa. In Jos, Hauptstadt des Bundesstaates Pleateau, haben die beiden Teams geschult, die aus angesehenen Vertretern beider Religionen bestehen und bei den ersten Anzeichen von Ausschreitungen Alarm schlagen. „Vor allem brauchen wir die Unterstützung der Geistlichen“, erklärt James. Sie kehren zu ihrem Kleinbus zurück, unversehrt, auch innerlich. Die alten Wunden sind nicht aufgerissen. „Peace is divine“ steht in großen Lettern am Busheck: Frieden ist heilig. Interfaith Mediation Centre (IMC) heißt die Organisation, die Pastor James Wuye und Imam Muhammad Ashafa leiten. Seit vielen Jahren vermitteln sie in den religiösen Konflikten Nigerias, mit international beachteten Erfolgen. Sie nutzen die gemeinsame Essenz von Koran und Bibel – Frieden und Nächstenliebe – als Grundlage ihrer Mediationen. Sie organisieren Workshops zu gewaltfreier Konfliktlösung für diejenigen, die im Lande die Entscheidungen fällen: religiöse Führer, Politiker, Unternehmer und Beamte. Immer beginnen sie mit einem Gebet, jeder zu seinem Gott, und enden mit „Amen“ und „Ameen“. Wenn ihr wahre Christen und echte Muslime sein wollt, so schwören sie die Teilnehmer ein, dann liebt und achtet einander, denn so gefällt es dem Allmächtigen!

Sie berühren die Menschen, weil sie leben, was sie predigen. Man hört ihnen zu, nicht nur in Nigeria, sondern auch im Sudan und Kenia, in der Schweiz und in Deutschland, auf dem Balkan. Für ihre Erfolge wurden sie 2005 mit dem Bremer Friedenspreis ausgezeichnet, 2009 mit dem „Prize for Conflict Prevention“ der Fondation Chirac in Paris. James und Ashafa strahlen Autorität aus, weil sie selbst den weiten Weg gegangen sind: von Unruhestiftern zu Friedensmachern. Er war nur möglich, weil sie einander vergeben konnten.

Als junge Männer waren sie Erzfeinde, die einer Religion der Rache huldigten. Heute können sie darüber sprechen, welche Gefühle sie bewegten im endlosen Kreislauf von Gewalt und Gegengewalt, sagt James.

Gedemütigt haben sie uns. Beleidigt haben sie Gottes Namen. Unsere Leute haben sie umgebracht, sogar Frauen, Kinder, Greise, alle. Niemand konnte sich wehren. Oh, diese Ohnmacht. Ich hasse sie, diese Bastarde. Sie sollen leiden, so wie unsere Bro´s and Sistas gelitten haben. Nein, schlimmer! Erschlagt sie wie Hunde. Zündet ihre Häuser an. Zur Hölle mit ihnen. Wir sind Gottes Werkzeug, wir leihen seiner Rache das Schwert. Das Brennen in meinem Bauch soll aufhören, endlich.

Das innere Kochen, der Groll, der ihm den Magen zusammenballt wie einen Stein „ich bin damit aufgewachsen.“ Als kleiner Junge hat James am liebsten Soldat gespielt. Den Vater, der als Berufsoffizier im Biafra-Krieg kämpfte, sah er selten. Umso mehr wollte er ihm gefallen. Stark sein, ein Held, unüberwindlich. Und umso demütigender empfand er die Schläge seiner Mutter: Dieses Gefühl der Ohnmacht, schwor er sich, wolle er nie wieder erdulden müssen. Als Sechsjähriger bastelte er aus Blechtellern Helme, aus Isolatoren und Pfeffer die ersten „Handgranaten“. In der Jungsbande des Viertels gab James den Hauptmann.

Dass er einen Kopf kleiner als die anderen, machte er durch Verwegenheit wett. Beim Kicken auf dem staubigen Bolzplatz, bei den Prügeleien, bei nächtlichen Sauftouren. Seine Augen vom Alkohol gerötet, seine Finger gelb von den Zigaretten, so betrat er eines Sonntags die Kirche. Du verschwendest dein Leben, schrie der Prediger, du achtest dich selbst nicht. Aber Jesus nimmt dich an, ER trägt dich! „Bei jedem dieser Sätze fixierte er mich. Ich fragte mich, verdammt, woher weiß dieser Kerl, wie es in mir aussieht?“

Die Predigt traf ihn mitten ins Herz. Fortan zog er sich sonntags seinen einzigen Anzug an und besuchte die Messe. Er entwickelte bald den Ehrgeiz, frömmer als die anderen zu sein. Doch die Wut im Bauch blieb. Sie suchte ein Ventil. „Nachdem ich vorher dem Teufel gedient hatte“, sagt James heute, „wollte ich nun alles in den Dienst Gottes stellen.“ Als Missionar, der an den „Kreuzzügen“ der Evangelisten teilnahm, konnte er beides: stark sein und seine Redekunst einsetzen. Es ging gegen die „Heiden“ im Norden Nigerias, die Muslime. Die Wut, die bisher chaotisch gebrodelt hatte, bekam ein Ziel. Er fühlte sich als Racheengel in Jesu Namen, Hallelujah!

James wurde Anführer evangelischer Jugendverbände. Einige davon hatten sich heimlich bewaffnet und wurden militärisch ausgebildet. Er befehligte die christlichen Milizen in Kaduna, eine Millionenstadt im umkämpften Middle Belt Nigerias. Eines Tages spürten seine Leute einen alten Sufi-Weisen auf, der außerhalb der Stadt lebte. Der Muslim war der spirituelle Lehrer Ashafas, und ihm, dem Anführer der feindlichen Milizen, den sie nicht zu fassen bekamen – ihm galt die Attacke eigentlich. Sie zerrten den alten Mann aus dem Haus, warfen ihn in den Brunnen und ließen so lange dicke Steine auf ihn herabprasseln, bis er erstickte. Er hatte für Ashafa alles bedeutet. Das ist sein größter Verlust, der ihn an James bindet.

Wie James hatte auch er sich im Recht gefühlt, als heldenhafter Verteidiger des einzigen wahren Glaubens, Allahu akbar! „Den Hass, der damals in mir brannte, habe ich nicht selbst entwickelt“, erinnert sich Muhammed Ashafa, „ich habe ihn geerbt.“ Der Imam liegt auf dem Fußboden, den Ellbogen auf ein rundes Kissen gestützt, und kaut trockenes Toastbrot. Eine kurze Pause, zwischen Morgengebet und vielen Gesprächen, die er im Laufe des Tages mit Mitgliedern seiner Gemeinde in Kaduna führt. Für sie ist er Seelsorger, politischer Führer, Ehe- und Gesundheitsberater.

„Mein Vater war Geistlicher, in der 14. Generation, ein weithin geachteter Mann. Er las und sprach fließend arabisch.“ Doch dann kamen die Briten, und er wurde zum Analphabet im eigenen Lande, weil er die Sprache der neuen Herren nicht beherrschte. „Diese Kränkung ließ ihn fortan alles Westliche verabscheuen. Die Kleidung, die Musik und vor allem den christlichen Glauben.“

Deshalb weigerte er sich zunächst, seinen Sohn auf die einzige Schule weit und breit zu schicken, die von Methodisten geführt wurde. Freunde überredeten ihn schließlich. In der Grundschule lernte Ashafa die Bibel kennen, die er auch später immer wieder studierte. Aber nur, um sie zu widerlegen. Der Junge, groß gewachsen, mit kräftiger Stimme, stieg in einem großen Jugendverband bald zum Generalsekretär auf. Wie James wurde er heimlich Milizionär, wie er war er ein geborener Anführer, und im gleichen Jahr, als James seine rechte Hand einbüßte, verlor Ashafa seinen Sufi-Lehrer und zwei Brüder – durch Kampfgruppen, die James befehligte.

Ein paar Jahre später wurde er in die Residenz des Gouverneurs eingeladen. Es ging um eine Impfkampagne gegen Polio. Islamische Verbände hatten geargwöhnt, sie diene dazu, ihre Leute heimlich zu sterilisieren. In einer Pause nahm ihn plötzlich der Journalist Idris Musa beiseite und führte ihn zu James. Der alte Musa legte die Hände der beiden ineinander und sagte: „Ich kenne euch, ihr seid harte Jungs. Aber euch beiden traue ich zu, in diesem Land Frieden zu stiften.“ Ashafa lächelte den Pastor an. „Ich ließ mir nichts anmerken“, sagt er heute, „aber in meinem Kopf sah es anders aus.“ Jetzt hab’ ich den Schweinehund. Er hat mir das Liebste genommen. Dies ist die Stunde der Rache. Und James lächelte zurück. Dieser Fundamentalist, diese falsche Schlange. Wenn du weißt, wo ich nachts schlafe, schickst du mir deine Männer. Die hacken mir erst den anderen Arm ab, und schneiden mir die Kehle durch.

Heute, 15 Jahre später, würden die beiden ihr Leben für einander riskieren. Ihre Zuneigung schließt die Unterschiede zwischen ihnen mit ein. Ashafa kutschiert einen uralten Diesel, James fährt einen Mercedes Geländewagen. Dem Pastor geht es schwer auf die Nerven, wenn der Imam unpünktlich ist, und er schüttelt mit dem Kopf, dass der Imam gerade zum 16. Mal Vater gworden ist, „das kann der sich doch gar nicht leisten“. Ashafa schmunzelt über die Kleinfamilien der Christen, er will vier Ehefrauen und viele weitere Kinder, „hey James, du wirst sehen, zwei Fußballteams kriege ich noch voll“. Das Morden und Brandschatzen, dessen Spuren die beiden in Jos zwischen den Ruinen recherchieren, war ein Vergeltungsakt. Für ein Blutbad an Christen, vorher, woanders. Das wiederum einen Angriff auf Muslime rächte. Vorher, woanders. Eine Kettenreaktion des Hasses, die den Bundesstaat Plateau in Atem hält. Die Täter inszenieren sich regelmäßig und mit ähnlicher Rhetorik als die eigentlichen Opfer. In den südlichen Bundesstaaten dominieren christliche Gemeinschaften, im Norden muslimische. Und im Mittelgürtel, Fluch der geografischen Lage, prallen die Religionen wie driftende Kontinentalplatten aufeinander. Tektonische Spannungen, die sich immer wieder in Gewaltexzessen entladen.

Nigeria gilt als eines der religiösesten Länder der Welt. 95 Prozent der Einwohner, so ergab eine Umfrage im Auftrag der BBC, würden für den Gott sterben, an den sie glauben. Offiziell ist knapp eine Hälfte islamisch, die andere christlich, mit einer verschwindenden Minderheit von Animisten. Aber schon die Zahlen sind Gegenstand erbitterter Debatten.

Angeblich geht es bei den Gewaltkonflikten um Religion, in Wirklichkeit jedoch um Geld und Einfluss. Egal ob Aufträge oder Kredite, Studienplätze oder Jobs, alles wird nach religiösem Proporz vergeben. Ist der Staatspräsident Muslim, muss sein Stellvertreter Christ sein. Das Gefälle zwischen dem wohlhabenderen, christlichen Süden und dem ärmeren, muslimisch dominierten Norden verschärft den Konflikt. Wie so oft bei Auseinandersetzungen, die gewaltsam eskalieren, fühlen sich beide Seiten an den Rand gedrängt, die Alten ihrer Würde beraubt, die Jungen um Lebenschancen betrogen. Im Interfaith Mediation Centre haben James und Ashafa zehn Pastor-Imam-Teams aufgestellt; einige von ihnen waren ebenfalls früher Milizionäre. Heute streiten sie für friedliche Lösungen, Koexistenz, so predigen sie in einem Land, wo Predigten noch zählen, ist nichts anderes als Lob und Preis Gottes! Auch ihre Gegenspieler nutzen die Macht der Religion. Junge Männer werden von fanatischen Predigern und Politikern aufgehetzt, sie saufen sich Mut an und ertränken letzte Bedenken, und dann rotten sie sich in Mobs zusammen, zu allem bereit.

Doch der Glaube an die eigene Unbesiegbarkeit ist den meisten längst abhanden gekommen. So war es auch bei James, als er in der Residenz des Gouverneurs seinem Gegenspieler vorgestellt wurde. Standen die militärischen Operationen, von denen nicht einmal seine Frau Elisabeth wusste, tatsächlich unter Gottes Schutz und Segen? James war sich nicht mehr sicher. Auch Asfaha fragte sich damals, ob es Allah wirklich gefiel, dass er die Ungläubigen mit seinem Hass verfolgte. Aber was war die Alternative? Würde er nicht seine islamischen Wurzeln verraten, wenn er mit Christen redete? Würden ihn seine Mitkämpfer für einen Schwächling halten?

Ein paar Tage nach der ersten Begegnung suchte er James in einem Kirchenbüro auf. Draußen versteckten sich seine Milizionäre, bis an die Zähne bewaffnet. „Wenn ich in einer halben Stunde nicht zurück bin, macht ihr alles platt, verstanden?“ Doch auf dem Weg zur Kirche klangen die Worte des alten Musa nach. „Ihr beiden könnt den Frieden bringen“, hatte der gesagt. Etwas geriet ins Wanken. Statt James an die Gurgel zu gehen, unterbreitete Ashafa ihm einen Vorschlag. Eine Debatte solle stattfinden, Muslime versus Christen, Koran gegen Bibel, das bessere Argument soll siegen. James war perplex, willigte aber ein. Ein Jahr lang suchten sie einen Ort für den Abtausch. Alle Hotels lehnten ab.

Das British Council war so mutig, einen Saal anzubieten. James hatte Angst vor einem Hinterhalt. Aber feige wollte er auch nicht sein. Die Messer wurden unter Burnussen und in Aktentaschen versteckt, auf beiden Seiten. Das Eis taute, langsam. Schon beim zweiten Treffen ging es darum, wie man gemeinsam für den Frieden arbeiten könnte. „Ich war berührt davon, dass Christen wie James unsere Trauer über die Toten und Verwundeten nachempfinden konnten“, erinnert sich Ashafa. Mitgefühl war das letzte, was er von seinen Gegnern erwartete. Die 41. Sure des Korans fällt ihm ein: „Die gute Tat ist der schlechten nicht gleichzustellen. Erwidere die schlechte, die dir geschieht, mit einer guten! So wird derjenige, mit dem eine Feindschaft bestand, zu einem engen Freund.“

Doch soweit, Schlechtes mit Gutem zu vergelten, waren beide noch nicht. Sie organisierten die ersten interreligiösen Workshops. Reisten gemeinsam zu Kursen für Konfliktschlichter nach Südafrika und in die Vereinigten Staaten. Schliefen oft im gleichen Zimmer. Ihre Gastgeber waren entzückt: Zwei, die der Rache abgeschworen haben, Erzfeinde, die Freunde wurden – dieses Wunder will jeder gerne glauben. Doch die Wirklichkeit sah anders aus. Jahrelang plagten James Mordgedanken. Immer wieder brach nachts ein Schmerz auf, tiefer als der Schnitt, der seinen Arm abtrennte, Anfälle ohnmächtiger Wut. Eines Tages begegnete er Pastor Ina Omakwu, den er als weisen Mann verehrte. Der Geistliche sprach ihn nach einem Gottesdienst an: „James, ich weiß genau, wie es in deinem Inneren aussieht. Du bist vergiftet von Hass. Aber wenn du Muslime für den christlichen Glauben gewinnen willst, dann musst du deine Liebe für sie entdecken. Du kannst nicht jemandem predigen, den du verabscheust!“ Und damit ließ er ihn stehen.

Es war, erzählt James, als ob ein Blitz eingeschlagen hatte. Plötzlich sah er Asfaha mit anderen Augen an. Sah dessen gütigen Blick, seinen sanften Mund. Und es tat gut, den tausendmal durchgekauten Groll loszulassen. Es fühlte sich leicht an. Auch Ashafa musste Gewohntes aufgeben, um die entscheidenden Schritte auf James zugehen zu können. Seine übersichtliche Einteilung der Welt in die Guten und die Bösen. Und seine Angst allein dazustehen, getrennt von seinen Glaubensbrüdern. Wie bei James war es eine Predigt, die Ashafa für das Neue öffnete. „Der Imam sprach darüber, wie man Ignoranz durch Wissen heilt, Rache durch Vergebung. Wie man seinen Feind dadurch besiegt, dass man ihn zum Freund macht. Nicht mit Gewalt, sondern mit Liebe.“

Das war vor zwölf Jahren. Seitdem sind die beiden unzertrennlich. „Imam und Pastor“ – das funktioniert mittlerweile wie ein Markenzeichen. In ihrer Heimat Kaduna gelten sie als Friedenshelden. Jahrzehntelang waren die Stadt und der gleichnamige Bundesstaat ein einziger Kriegsschauplatz. Etwa während der Scharia-Krise im Jahr 2000, als einige der nördlichen Staaten traditionelles islamisches Recht einführten, wogegen sich Christen empörten. Jugendliche Mobs zerstörten Hunderte von Moscheen und Kirchen, Tausende starben. Das Trauma wiederholte sich, als in Lagos Miss-World-Wahlen stattfanden und eine Kommentatorin schrieb, schöne Frauen hätten auch dem Propheten Mohammed gefallen. Jedes Mal erwies sich der Middle Belt als Pulverfass. Kaduna wurde zur geteilten Stadt, geordnet nach muslimischen und christlichen Vierteln. Die Wirtschaft lag brach. Niemand wollte in ein Schlachtfeld investieren.

Nur Ashafa und James galten als so glaubwürdig, dass es ihnen gelang, beide Seiten an den Verhandlungstisch zu bringen. 2002 kamen sie auf die Idee, die „Erklärung von Alexandria“, unterzeichnet von Religionsführern aus der ganzen Welt, als Vorlage zu nehmen und auf die Situation in ihrer Heimatstadt anzupassen. Tatsächlich unterschrieben 22 hohe Geistliche beider Lager die Kaduna Peace Declaration. Und es geht: Die Geschäfte in der Stadt laufen wieder. Abends flanieren Jugendliche am Fluss entlang und sitzen unter Flammenbäumen mit orangeroten Blüten. Sie genießen die Früchte des Friedens. Nun wollen Pastor und Imam ihre Erfolge auf andere Konfliktherde im Middle Belt übertragen. Dort gibt es noch viele Gegenden, die für einen von ihnen „No-Go-Area“ sind, betreten verboten, Lebensgefahr! Als die beiden ihre Inspektionsreise nach Jos planten, Hauptstadt des Plateau, nahm James die südliche Route entlang christlicher Dörfer, Ashafa die nördliche, die für Muslime sicher ist. Das Interfaith Mediation Centre hat in Jos ein „Early Warning – Early Response“-System eingerichtet. Die Teams bestehen aus einer gleich großen Zahl von Christen und Muslimen und werden so vorbereitet, dass sie sich bei den geringsten Anzeichen von interreligiöser Gewalt gegenseitig informieren.

James steht auf einem staubigen Platz in Dogo Nahawa, ein Weiler in der Nähe von Jos. Es ist früher Vormittag, die Sonne brennt senkrecht auf die Versammelten herab, aber das ist nicht der einzige Grund, warum der Pastor schwitzt. Er ist unsicher. Was soll er den Menschen sagen, Christen vom Volk Berome, die ihn erwartungsvoll begrüßen? In ihren Gesichtern kann er lesen, dass sie durch die Hölle gegangen sind. Ein Überfall vor wenigen Wochen, 500 von ihnen waren niedergemetzelt worden mit Schwertern und Sicheln, in kaum drei Stunden. Kann er hier, wo sie die Leichen in langen Reihen in den Staub gelegt hatten, kann er an diesem Alptraum-Ort von Vergebung sprechen?

Ashafa ist zurückgeblieben. Derzeit kann sich kein Muslim in Dogo Nahawa blicken lassen. James steht allein auf dem Dorfplatz. Es ist die Stunde vor der Sonntagsmesse, die Männer tragen weiße Hemden, die Frauen bunte Kleider und ihr schönsten Kopftücher. Kann James sie bitten, ihren Feinden zu verzeihen? Kann er das von einer Frau wie Pauline verlangen, die im Schatten eines Mangobaums sitzt und weint? Das Gesicht der 40jährigen ist grau. Sie hat viel Blut verloren. Über ihren Hinterkopf zieht sich eine 20 Zentimeter lange Narbe. Drei Finger hat sie unter Machetenhieben verloren, ihre Kinder sind im Haus verbrannt. Einer nach dem anderen haben die Dorfbewohner dem Pastor ihr Leid anvertraut. Jetzt sind sie still. Alle Augen richten sich auf ihn. James wendet sich einen kurzen Moment ab, er wischt sich die Tränen aus den Augen. Schließlich spricht er, leise, aber mit fester Stimme: „Schaut euch diese Prothese an. Wie lange habe ich damit gehadert. Ich wollte, dass jemand dafür büßt. Das hat mich zum Gefangenen gemacht. Viele Jahre lang. Aber heute bin ich frei. Weil ich die Rache loslassen konnte. Es gibt nur einen Ausweg aus dem Kreislauf von Gewalt und Rache – zu vergeben. Tut es, aus Liebe zu euch selbst!“

Sie hören zu. Niemand widerspricht. Dieser Pastor hat etwas geschafft, was noch vor ihnen liegt, etwas, wofür sie Gottes Beistand brauchen. Einer beginnt ein Gebet, Praise the Lord, andere fallen ein, Hallelujah, sie beten mit Inbrunst. Aber niemand lächelt dabei.