Willkommen in der E-Landschaft

Die Energiewende verwandelt die Kulturlandschaft schneller als jemals zuvor. Eine Aufgabe für die besten Architekten, Planer und Designer.

Erschienen in der Financial Times Deutschland 24.3.2012

Viel Staub wird aufgewirbelt, wenn die Betreiber der Energiewende und die Bewahrer der Heimat aufeinander treffen. Man wirft sich vor, als eiskalter Technokrat beziehungsweise als sentimentaler Traditionstümler zu agieren, je nach Lagerzugehörigkeit. Eine bestürzende Gemengelage ist das, angesichts der Größe der Herausforderung, die buchstäblich im Raum steht: die Herrichtung unserer Kulturlandschaft für das postfossile Zeitalter. Dass mal wieder alles viel zu schnell geht, um in Ruhe nachzudenken, erleichtert die Suche nach Lösungen nicht gerade. Beschleunigung, ausgelöst vom Menetekel der Klimakatastrophe, verhärtet die Fronten.

Wandel war schon mal gemächlicher. Es hat einige Jahrtausende gedauert, bis die mitteleuropäische Wildnis gerodet war und eine Agrarlandschaft entstand, in der bis heute geerntet wird, was wir essen. Die Überformung des Landschaftsbildes durch die Industrialisierung vollzog sich deutlich schneller. Sie dauerte, weithin sichtbar durch Fördertürme und Fabrikschornsteine, durch Eisenbahnlinien und Straßen, nicht mal 200 Jahre. Nun stehen wir erneut am Beginn eines tiefgreifenden Umbaus. Diesmal verwandeln wir die Horizonte deutscher Landen unter Hochdruck: Innerhalb von nur Jahrzehnten wird die neue E-Landschaft entstehen. E wie Energie.

windräder

Windräder: Landmarken der Energiewende

Um Quellen wie Wind, Sonne und Biogas zu nutzen, braucht es neue Infrastruktur. Die Deutsche Energieagentur schätzt, dass 4450 Kilometer zusätzlicher Hochspannungsleitungen gelegt werden müssen, um Strom vom Ort der Ernte zum Ort des Verbrauchs zu transportieren. So beginnt die E-Landschaft, sich merklich über Wiesen, Wälder und Felder zu legen. Unten werden Kartoffelkilos geerntet, in luftiger Höhe Kilowatt transportiert. Am Boden Holzplantagen, über den Wipfeln der Windpark. Das Landschaftsbild wandelt sich, und daran entzündet sich der Protest. „Verspargelung!“ rufen Landschaftsschützer, verdrahtet und verschandelt werde die schöne Heimat. Doch ist Tradition, wie Thomas Morus sagte, „nicht das Halten der Asche, sondern das Weitergeben der Flamme“. Was ist der feurige, erhaltenswerte Kern der überlieferten Kulturlandschaft? Zwei Elemente erscheinen wesentlich: Vielfalt auf engem Raum und ein beständiges Ringen um Gleichgewicht. Tradition hieße in diesen Sinne, das Neue behutsam in das Alte einzufügen und widerstrebende Interessen auszubalancieren. Konsensfindung ist im dichtbesidelten Deutschland eine Art Überlebenstechnik, auch in Geschmacksfragen.

Aber welche Landschaft finden Menschen eigentlich schön? Auf diese Frage geben Anthropologen eine überraschende Antwort: Jede, die uns nutzt! Ein Beispiel: Mit den für hiesige Breiten typischen Landschaftsparks bauen wir unbewusst immer wieder die Serengeti nach. Das ostafrikanische Grasland gibt die Gestaltung vor, einschließlich eingestreuter Bäume, Hügel und Tümpel. Die Savanne bot unseren Ur-Ahnen alles Lebenswichtige: Trinkwasser, Schattenbäume in großer Zahl, gute Sicht und genug Fleisch. Und so verpflanzen wir die Serengeti, in Würdigung ihres einstigen Nutzwerts, mitten in unsere Städte.

Schönheit liegt also im Auge des Betrachters. Seine Urteile und Werte entscheiden über hübsch und hässlich. Konkret: Wer wirklich vom ökologischen Nutzen der erneuerbaren Energien überzeugt ist, zeigt sich grundsätzlich bereit, deren Bauwerke freudig zu begrüßen. Der findet eine Reihe Windräder ansehlicher als eine flurbereinigte Agrarsteppe, Photovoltaikfelder ansprechender als Fichtenmonokulturen. Sinn leitet Sinnlichkeit.

Die Energiewende betrifft auch das eigene Handeln, den täglichen Konsum. Es geht nicht nur darum, Strom anders zu erzeugen, sondern auch darum, weniger davon zu verbrauchen. Damit begrenzen wir die Zahl der Neubauten, ob Solarkraftwerke, Windparks oder Stromtrassen, auf das notwendige Maß. Verbundenheit mit der Natur und pfleglicher Umgang mit der Mitwelt sind die Wurzeln, auf die sich beide Seiten des Konflikts berufen. Wer als Bauherr der neuen E-Landschaft auftritt, ob Politiker oder Unternehmer, wird an diesem Anspruch gemessen. Dann beweist sich Naturliebe, wenn einzigartige Biotope geschont werden. Empathie und Respekt zeigen sich, wenn Härten für Einzelne, denen Hochspannungsmasten direkt vor der Haustür zugemutet werden, von der Gemeinschaft ausgeglichen werden. Kultiviertheit drückt sich aus, wenn auch Funktionalbauten wie Biogasanlagen und Solardächer ästhetisch gestaltet werden.

Wer aber beschäftigt sich mit der ästhetischen Gestaltung der kommenden Kulturlandschaft und ihrer Bauwerke? Bisher scheinen das vorwiegend Design-Studenten auf der Suche nach abseitigen Abschlussthemen zu sein. Es gab kulturgeschichtliche Epochen, da lagen die Prioritäten anders. Etwa damals, als fortschrittliche Industrielle ihre Fabrikhallen, Zechensiedlungen und Schachtanlagen von renommierten Baumeistern entwerfen ließen. Fritz Schupp und Martin Kremmer gehörten zur Elite der Bauhausarchitektur, als sie 1928 den Auftrag bekamen, die Förderanlagen der Zeche Zollverein zu planen. Sie galt in ihren feinen Proportionen schon damals als „schönste Zeche der Welt“. Heute begeistert sie die Besucher als Rahmen für Konzerte und Kunstinstallationen, von der Unesco wurde sie zum Weltktulturerbe erklärt. Da ist Licht im Schacht.

Gute Gestaltung überdauert Zeiten und Moden. Deshalb sollten wir die bauliche Ausformung der Energiewende in die Hände der besten Architekten und Designer legen. Warum nicht Strommasten als ansehliche Skulpturen? Wie wäre es mit Solarfeldern als inspirierende Land-Art? Biogasanlagen als Sehenswürdigkeit? Die Zielvorgabe könnte lauten: In 100 Jahren werden solche Leuchttürme der E-Landschaft zum Weltkulturerbe erklärt.